Mit vereinten Kräften Prüfung geschafft

Michelstadt | Als Mohammad Mehdi Hashemi 1999 in Gazni, Afghanistan, das Licht der Welt erblickte, konnte noch niemand ahnen, dass er eines Tages in einer deutschen Pflegefamilie ein Zuhause finden und in einem deutschen Betrieb den Beruf des Tischlers erlernen würde. Die Kindheit und der Weg bis dorthin waren nicht leicht. Der Vater war früh gestorben, die Familie hatte in Afghanistan kein Einkommen mehr, so gingen sie in den Iran. Hier finden bereits afghanische Kinder Arbeit, oft schlecht bezahlt, Menschen afghanischer Herkunft haben im Iran kein Recht auf Schuldbildung. Vielmehr müssen sie in einem Graubereich der Legalität überleben, als billige Arbeitskräfte geduldet, aber ohne Rechte. Mit 16 Jahren, so ging es vielen jungen Afghanen im Iran, wurde er vor die Wahl gestellt: entweder im Syrienkrieg kämpfen oder Abschiebung nach Afghanistan. Mehdi, wie ihn hier alle nennen, entschloss sich mit einigen Freunden für die Flucht. Schweden war das Ziel. Als er 2015 auf der vermeintlichen Durchreise in Deutschland landete, riet ihm ein Freund, hier zu bleiben. So kam er zunächst in Heppenheim in eine Einrichtung für unbegleitete Minderjährige unter. Nach einigen Monaten konnte er entschieden, ob er in der Einrichtung bleibt oder in eine Pflegefamilie möchte. Er entschied sich für die Pflegefamilie in Affolterbach, wo er drei Jahre blieb. Von dort aus besuchte er die Regelschule in Bensheim, schloss Deutsch mit dem Zertifikat B1 ab und holte anschließend seinen Hauptschulabschluss in Mannheim nach.

Im Iran hatte er bereits, noch als Kind, als Schneider und als Fliesenleger gearbeitet. Die Pflegefamilie half ihm, Bewerbungen für Ausbildung und Praktika zu schreiben. „Ich habe 24 Bewerbungen verschickt, auch verschieden Praktika gemacht, mal als Zimmermann, einmal in der Altenpflege“, erinnert er sich heute zurück. Schnell von sich überzeugt hatte er einem Praktikum bei der Schreinerei Pracht Living GmbH. „Seine große Motivation hat uns überzeugt, ihm wollten wir unbedingt eine Chance geben“, erinnert sich Firmenchef Daniel Pracht zurück.

Auf Ausbildung und guten Chancen für junge Menschen wird in dem traditionsreichen Familienunternehmen, seit 2020 in dritter Generation und umfassend modernisiert, im Hause Pracht großen Wert gelegt. „Wir arbeiten sehr gut mit der Oberzentschule zusammen“, betont Pracht. So zählen heute zu den 28 Mitarbeitenden auch fünf Auszubildende. Aber diesem Sommer, erklärt er, wird das Verbandsstudium als akademische Ausbildung im Betrieb Einzug halten. In Kooperation mit der Technischen Hochschule Rosenheim ist es dann möglich bei der Pracht Living GmbH den Bachelor im Innenausbau in 4,5 Jahren zu absolvieren. Das Unternehmen bietet heute nicht nur klassische Schreinerarbeiten an, sondern Komplettlösungen für alle Wohnbereiche.

„Das miteinander ist uns sehr wichtig, ob mit unseren Kunden oder in unserem Team selbst“, betont der Firmenchef. Auch Mehdi ist inzwischen fester Bestandteil des Teams. Praktisch hatte er bereits während seiner Ausbildung überzeugt. Die Theorie hingegen machte ihm aufgrund der Sprachbarrieren und den fehlenden Schuljahren zu schaffen. Im ersten Durchlauf schaffte er die theoretische Prüfung nicht. Neben Unterstützung im Betrieb wandte sich Daniel Pracht an das Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft (BWHW). Für ein halbes Jahr bis zum nächsten Prüfungstermin mündete Mehdi in ABplus (Ausbildungsbegleitung mit Sprachförderung) ein und wurde intensiv gefördert. Er erhielt Fachunterricht bei einem Tischlermeister sowie Deutschunterricht hinsichtlich Fach- und Prüfungssprache. ABplus zählt zum „Wirtschaft integriert“, ein landesweites Projekt des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen, um junge Menschen mit Sprachförderbedarf von der beruflichen Orientierung bis zum Ausbildungsabschluss zu unterstützen. Es wird gefördert aus Mitteln des Landes Hessen, des Europäischen Sozialfonds [ESF], den Agenturen für Arbeit sowie den Jobcentern.

Im zweiten Anlauf schaffte Mehdi die Prüfung und ist heute Geselle im Tischlerhandwerk.

Wie wichtig gute Ausbildung für die Zukunft des Handwerks ist, wissen Daniel Pracht und sein Personalentwickler Dominik Fernandes sehr gut. So hat das Unternehmen ein umfassendes Ausbildungskonzept ausgearbeitet, unter anderem zählt dazu ein Ausbildungstag alle vier Wochen mit praktischen und theoretischen Fragen im geschützten Raum ohne das Team, mit dem die Auszubildenden sonst im Einsatz. Hier kann alles auf den Tisch kommen und besprochen werden. „Ich wünsche mir eigentlich auch von anderen Betrieben mehr Einsatz für ihre Auszubildenden, auch die Kooperationen mit den Schulen oder Bildungsträgern wie dem BWHW.“

Nach erfolgreicher Ausbildung hat Mehdi, der 2019 noch im ersten Ausbildungsjahr seinen Führerschein machte, zwei Wünsche offen: Seine Mutter und seine beiden kleinen Schwestern aus dem Iran zu holen ist sein größter Wunsch. Zudem sucht er eine Wohnung in Beerfelden, denn noch reist er täglich aus Hammelbach zur Arbeit an.

Info:
Unterstützung für junge Menschen mit Sprachförderbedarf, sei es bei der Berufsorientierung (BOplus), dem Einstieg in eine Ausbildung (EQplus)sowie Begleitung durch eine Ausbildung (ABplus)  im Rahmen des Landesprojektes „Wirtschaft integriert“ gibt es im Odenwaldkreis beim Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft (BWHW) in Michelstadt. Ansprechpartner siehe unten:

Kontakt

Klaus Marquardt
Frankfurter Straße 37
64720 Michelstadt
T: 06061 9438-14
F: 06061 9438-18

E:

Kontakt

Alexandra Volking
Frankfurter Str. 37
64720 Michelstadt
T: 06061 9438-17
F: 06061 9438-18

E:

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