Integration mit Feinschliff

Eine Lautertaler Natursteinfirma beschäftigt zwei Steinmetzmeister aus Syrien. Der Geschäftsführer ist begeistert.

Eigentlich sollte es ein Vorstellungsgespräch werden. Aber sobald Kamil Jabir (26) etwas Neues entdeckte, verschwand er in einer anderen Ecke der Halle. Zu groß war die Aufregung des jungen Steinmetzes, als er vor den ihm völlig neuen Flächenschleifautomaten und der meterhohen Blocksäge stand. Wo er herkam schliff und sägte man alles per Hand.

 „Kamil machte Augen wie ein fünfjähriger Junge, wenn es an Weihnachten Geschenke gibt“, erinnert sich Thomas Eichhorn (51), der als einer der beiden Geschäftsführer der Firma Eichhorn & Walter Natursteinwerk GmbH dem Flüchtling das Gelände zeigte. Mit einem Lächeln fügt Eichhorn hinzu: „So eine Begeisterung habe ich weder bei Kunden noch Lieferanten je gesehen, am liebsten hätte er ja den Arbeitern die Schleifmaschinen aus der Hand gerissen und selbst angefangen.“ Als es in den Außenbereich ging und der Bewerber sämtliche dort gelagerten Steinarten wie Himalaya, Labrador oder Impala sofort erkannte, war ein Vorstellungsgespräch im üblichen Sinn nicht mehr notwendig.

 

Akhtar und Kamil4

Ein Jahr ist es mittlerweile her, dass der in Groß-Bieberau wohnende Flüchtling den Betrieb des Grabsteinherstellers zum ersten Mal betrat. Damals sprach er nur wenige Brocken Deutsch und wusste kaum etwas von der im odenwäldischen Lautertal gelegenen Firma. Heute sieht die Lage anders aus: Er gehört fest zur 31-köpfigen Belegschaft und ist seit einem Monat in Vollzeit als Natursteinschleifer angestellt. Die Stelle bekam er nach ein paar Wochen Praktikum und einer Überbrückungszeit auf Minijobbasis angeboten. Sein Deutsch ist etwas besser – jedenfalls reicht es, um für seinen Vater Akhtar Jabir (59) zu übersetzen, der ebenfalls in Vollzeit bei der Firma tätig ist. Als sein Sohn noch im Praktikum war, folgte er ihm kurzerhand und wollte mit anpacken; für ihn war das selbstverständlich, immerhin haben die beiden schon 15 Jahre lang in Syrien zusammengearbeitet.

„Akhtar kann nicht viel Deutsch außer ‚Dankeschön‘ und ‚ich liebe dich‘, aber das macht er wett“, sagt Eichhorn, den die Herzlichkeit der beiden Steinmetzmeister regelrecht beeindruckt: „So freundlich und dankbar wie die Zwei sind, ist mir das manchmal fast peinlich!“ Wann immer man einem der beiden über den Weg laufe, freue er sich und sage „alles gut Chief“, erzählt Eichhorn. Dabei hätten sie allen Grund, das Gegenteil zu behaupten: Am 13. November lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Asylanträge ab und gewährte beiden für ein Jahr subsidiären Schutz. „Damit ist der Familiennachzug ausgesetzt, zwei Geschwister und die Mutter müssen im Flüchtlingslager im Libanon bleiben. Das Leben dort… ist unvorstellbar“, sagt der Geschäftsführer sichtbar bedrückt, wohlwissend, wie sehr die Trennung von der Familie Vater und Sohn belastet.

 

 

Akhtar

„Trotz dieser Umstände, obwohl beide um vier Uhr aufstehen, damit sie pünktlich um Sieben hier sind, haben sie noch keinen Tag gefehlt, waren nicht einmal krank“, versichert Eichhorn, der nur lobende Worte für seine neuen Mitarbeiter übrig hat. Dass beide im Betrieb anerkannt und integriert sind, bescheinigen auch Mitarbeiter wie der Steinmetzmeister Norbert Werner (59), ein Urgestein der Firma und ein Mann vom alten Schlag, „bei dem man sich seine Lorbeeren erst einmal verdienen muss“, so Eichhorn. Der kurz vor der Rente stehende Meister erklärt den Syrern – manchmal mit Händen und Füßen –, welche Steine sie wie zu schleifen oder polieren haben, an welche Stellen am Granit Rundungen, an welche Kanten gehören. „Es ist harte körperliche Arbeit und man ist wegen des Kühlwassers ständig im Nassen“, gibt Werner zu verstehen. Das erklärt, weshalb manchmal mehrere Arbeiter gleichzeitig krank sind und die anderen mit der Arbeit dann kaum hinterherkommen. Dann könne es auch schon mal eng werden, gesteht der Geschäftsführer. Werner ergänzt: „So war es auch, als die beiden hier angefangen haben, zu dem Zeitpunkt hatten wir so eine Situation. Das Wort ‘Flüchtlingshilfe‘ bekam da für uns eine andere Bedeutung.“

Hintergrund:

Den Kontakt zur Firma Eichhorn & Walter stellte Timo Walther her, der beim Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft als Willkommenslotse südhessische Unternehmen bei Fragen zur Integration von Flüchtlingen berät. Hätten Kamil Jabirs Deutschkenntnisse die Berufsberater bei der Arbeitsagentur überzeugt, wäre er gerne als Quereinsteiger zu Wirtschaft Integriert in die Einstiegsqualifizierung Plus gegangen. Da ihm das nicht gelungen ist und er im Januar das 27ste Lebensjahr erreichen wird, hat er seine Ausbildungspläne vorerst aufgeschoben und die Arbeitsstelle angenommen. Die Mitanstellung seines Vaters war möglich, da ein langjähriger Mitarbeiter der Firma Eichhorn & Walter in Rente ging und er dessen Stelle übernehmen konnte.

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